Diese Segelfreizeit hatte einen langen Anlauf. 2020 musste sie noch ausfallen, an große Maßnahmen – noch dazu außerhalb Deutschlands – war nicht zu denken. Dafür war klar: im Sommer 2021 werden wir in den Niederlanden segeln gehen.
Teilnehmende fanden sich rasch, viele aus dem Vorjahr, etliche neue. Unsere beiden Schiffe, die Larus und die Minerva (die nach einem Upgrade dann doch zur Actief wurde) waren gebucht und es galt, den Rahmen und das Hygienekonzept festzulegen. Im Frühjahr: hohe Coronazahlen und doch die Hoffnung, zum Sommer wird das schon.
Das neunköpfige Team machte sich an die inhaltliche Vorbereitung der Maßnahme, ein erster – digitaler – Abend mit Teilnehmenden und Erziehungsberechtigten zum Kennenlernen, Informationen weitergeben, Fragen und Bedenken erörtern fand statt und Bettina Speer, Diakonin in Salzgitter-Bad, wob ein Sicherheitsnetz:
- Antigen-Tests vor der Abfahrt, organisiert durch die Arztpraxis einer der Teilnehmendeneltern
- regelmäßige Covid-Tests während der Segelfreizeit
- Antigen-Test nach Ankunft in der Bundesrepublik
- durchdachte Einkaufs- und Küchenkonzepte
- Abholmöglichkeiten für Menschen in Quarantäne
- ein privat organisierter Sonderbus für einen Notfallabbruch bei der plötzlichen Einstufung als Hochinzidenzgebiet
Währenddessen stiegen die Inzidenzwerte in den Niederlanden und weiteres Abwägen setze ein: was machen hohe Inzidenzwerte und die Einstufung als Risikogebiet mit der Freizeit? Was brauchen Jugendliche aktuell? Ist es das Risiko wert?
Viel Rückhalt wurde deutlich: die Pröpste aus Salzgitter-Bad und Wolfenbüttel, der zuständige Oberlandeskirchenrat, viele der Erziehungsberechtigten äußerten sich deutlich.
"Toll, dass ihr weiter plant und daran festhaltet." "Die Kinder haben schon oft genug 'wegen Corona' gehört:" "Mit eurem Sicherheitskonzept stehen wir hinter euch." "Wenn so eine Maßnahme trotz der hohen Inzidenzen stattfinden kann, dann auf einem Segelschiff."
Ein zweiter digitaler Infoabend mit Teilnehmenden und Erziehungsberechtigten und ein intensives Abwägen vier Tage vor Abfahrt: fahren wir wirklich oder planen wir um auf eine Maßnahme in einem Jugendheim vor Ort? Die Teamentscheidung: sollte sich ein Großteil der Gruppe für eine Fahrt trotz hoher Inzidenzwerte und Risikogebiet entscheiden, fahren wir; sollte sich ein Großteil für etwas vor Ort aussprechen, dann gibt es eine Maßnahme in Ruferhaus Stauffenburg in Gittelde (danke an Andrea Hartmann fürs Bereithalten inkl. Sonderpreis).
Das anonyme Votum: wir fahren. Offiziell sagen wir die Fahrt ab, so dass alle, denen das Risiko zu groß ist, unkompliziert ihren Teilnehmendenbeitrag zurück bekommen.
28 Teilnehmende melden sich neu "mit Risiko" an.
Die Schiffsbelegungen werden angepasst, Teilnahmelisten neu erstellt, Material gepackt.
Letzter Tag vor Abfahrt während des Großeinkaufs für die Verpflegung an den ersten Tagen die Pressemitteilung: die Bundesregierung erwägt, Spanien und die Niederlande als Hochinzidenzgebiet einzustufen.
Eine letzte abendliche digitale Teambesprechung und große Klarheit: eine Fahrt ins Hochinzidenzgebiet käme nicht in Frage. Abgesehen davon, dass alle, die weder geimpft noch genesen sind, bei Heimkehr in Quarantäne müssten, befürchten wir erhebliche Einbuße bei einer entspannten Freizeitstimmung; ein angespanntes Team führt zu angespannten Teilnehmenden, noch mehr Abwägen bei den Fragen "Wer geht einkaufen?", "Wo sind Kontakte unvermeidlich?", "Welche Aktionen an Land sind denkbar?" würden die Freizeitstimmung vermutlich erheblich dämpfen.
Zugleich große Einstimmigkeit: wir starten mit der Fahrt, so lange keine Entscheidung feststeht. Aller Aufwand, alle Hoffnung, alle Erwartung und am Ende bleiben die Niederlande einfaches Risikogebiet und wir hätten den Teilnehmenden die Freizeit nicht ermöglicht? Das ginge auch nicht.
Wir treffen uns am Freitag wie geplant, alle werden getestet, doch die Hoffung, dass das RKI bereits gegen 10 Uhr eine Entscheidung mitteilt, geht nicht Erfüllung. "Wir fahren los, es kann sein, dass wir umdrehen." Auch hier ist die Kommunikation gegenüber Teilnehmenden und den Familien klar. "Fahrt einfach." "Macht die Handys aus." Ratschläge mit einem Augenzwinkern, viel Hoffung und dem großen Wunsch, dass die Kinder vor Enttäuschung bewahrt werden schwingt in den Zurufen vor Abfahrt mit.
Eine fröhliche Busfahrt, gute Stimmung, Gespräche, Spiele, Geschichten von vergangenen Segelfreizeiten. Immer wieder Zwischenstopps zum Bus lüften (natürlich fahren wir alle mit Masken) führend uns über zahlreiche Rastplätze Niedersachsens und schließlich über die Niederländische Grenze. Eine Stunde vor Harlingen dann endlich und leider die Nachricht vom RKI: die Niederlande werden mir Wirkung zum 27. Juli als Hochinzidenzgebiet eingestuft. Wir drehen um. Kurze Gedanken wie nur ein paar Tage segeln werden verworfen.
Trauer und Enttäuschung bei Team und Teilnehmenden und zugleich viel Verständnis für die Entscheidung: "Na klar, ihr tragt ja letztlich das Risiko."
Und jetzt? Doch nach Gittelde, Fahrradtour, Live Stratego, Kreativangebote, Singen, Grillen, Andachten feiern? Im Team sprudeln die Ideen doch die Teilnehmenden äußern sich klar: die Vorfreude aufs Segeln war groß, Alternativen braucht es nun keine.
Um 20:15 Uhr kommen wir wieder in Salzgitter-Bad an, wo die Fahrt startete. Ein Abschlusskreis in der Kirche, gemeinsam zur Ruhe kommen und vor Gott alle Gefühle ausbreiten, Wut, Trauer, Erleichterung, Ohnmacht, Verzweiflung, Vorfreude. Vater Unser. Segenslied. Wir sind mit unserer Enttäuschung nicht alleine, wir stehen in Gemeinschaft miteinander und mit Gott, der uns hilft, diese Gefühle zu tragen und in unserer Klage bei uns ist.
Am Ende ein Lebewohl und eine Einladung von Silvio, einem der Ehrenamtlichen aus dem Team: "Für drei Tage haben wir eingekauft, kommt doch bei mir im Garten vorbei zum Resteessen. Wer ist dabei?" Alle Arme gehen nach oben.
Zwei Tage später, mal wieder frisch getestet, gibt es dann Currypfanne mit Reis, Baden im Pool, Mölky, Football und Frisbee, Gesellschaftsspiele, Musik, Gespräche und viel Gemeinschaft und Freude.
Hätten wir etwas anderes machen müssen? Auch im Nachhinein ist das Team sich einig: so, wie es war, waren allen Entscheidungen gut und richtig.